Kostbarer moment

Es sind jene kostbaren momente, wenn etwas, wie ein fotografie, entsteht, das in keiner weise beabsichtigt gewesen ist und das im schlimmsten fall sofort als abfall vernichtet wird. Sicherlich wenden noch einige ein, dass, wenn etwas, das sich einem schlichten zufall verdankt und dem deshalb keine idee vorhergegangen ist, was für sie doch voraussetzung für eine schöpfung ist, keine kunst sein kann, weshalb es der mühe nicht wert, sich mit ihm zu beschäftigen. Schön, dass die verachtung für artefakte in der kunst längst vorbei ist und der betrachter sich in das rätsel versenken kann, das ihm dieses bild aufgibt. Es eröffnet ihm einen raum wilder spekulationen über dieses objekt & möglicherweise lässt er sich verlocken in die stimmung, die dieses bild hervorruft, zu tauchen. Die unmöglichkeit zu unterscheiden, ob da etwas, wovon man nicht weiß, was es ist, heranrückt oder sich entfernt auf dem hintergrund einer völligen übergangslosen schwärze, hält das dargestellte in einer schwebe, die kaum auszuhalten ist & macht das dargestellte zu etwas unheimlichem.

Glockenspiel

Ein frei schwingendes glockenspiel, das zu seltenen gelegenheiten von einem mit entsprechendem diplom ausgestatteten und also legitimierten flaschenspieler bespielt wird, wobei die auf der jeweils angeschlagenen flasche erzeugten töne die farbe des glases changieren lassen, sodass das spiel den raum in ein sich selbst verzehrendes farbenmeer verwandelt. Leider ist die fotografin etwas zu spät gekommen, die flaschen vibrieren nicht mehr. Einzig der rot glühende saum am bodenrand zeugt davon, dass die flaschen erst kurz vorher zur ruhe gekommen sind. Allein der anblick des mobile hängender flaschen ist eine art entschädigung für das entgangene konzert und erst recht die aussicht auf ein gläschen wein, das nach der vorstellung gereicht wird, damit der winzer auf seine kosten kommt. und der flaschenspieler will ja auch bezahlt werden.

Häuschen

Historische aufnahmen, die ich gesehen haben, zeigen, dass dieses häuschen schon in den 1960er-jahren an dieser stelle in der wiesbadener rheinstrasse gestanden hat. Nur zu gern, wüsste ich, was in diesem kleinen fensterlosen gebäude untergebracht ist. Das dach lässt vermuten, dass es etwas ist, was einer speziellen belüftung bedarf. Vielleicht besteht eine unterirdische verbindung zum kochbrunnen und ist das häuschen eine art warmluftabfuhrstelle für alle häuser, die mittels eines weitverzweigten unterirdischen kanalsystems mit wärme aus den heissen quellen gespeist werden. Wenig wahrscheinlich ist dagegen, dass es ein notstromaggregat beherbert, das in notfällen erlaubt, den betrieb in der einkaufszone aufrechtzuerhalten. Aber irgendetwas wichtiges muss es sein und keine kunst, sonst wäre es schon längst als schandfleck abgeräumt worden.

Kreuzende Linien

Sich kreuzende linien auf grauem grund. Gewerk aus stahlstreben, reine geometrie, wenn da nicht dieser schmutzfink gewesen wäre, der sich meister schimpfen lässt und hoch oben an einem kreuzungspunkt des gestänges ein nest errichtet hat, statt sich auf einem malerischen schornstein niederzulassen. Mit seiner anwesenheit und dem konglomerat aus geäst und dreck ruiniert er zum einen die klarheit der stählernen linienführung und behauptet sich zum anderen an dem vorgefundenen funktionalen gebilde als ebenbürtiger konstrukteur, der es schafft, an einem punkt ansetzend, etwas in das objekte einzufügen, was von gänzlich anderer beschaffenheit ist und sich dennoch als haltbares moment der gesamtkonstruktion erweist. Hier zeigt der kinderbringer sich als parasitärer baumeister, der auf schmalstem steg eine existenz zu begründen in der lage ist.